Große schwarze Fotografien mit Spiegelungen liegen auf dem Tisch. Sie bilden Federn,
Flammen einige Kerzen und Porträtbilder ab. Alles ist still. Ruhig. Ich höre nur das Rauschen von Papier. Ich sehe!
Durch das sanfte Tageslicht kann ich Gabrieles Werke erfassen. Ein Gefühl von Freude, wie wenn mir ein Idee in den Kopf kommt, macht sich langsam spürbar.
Wie ein “Eureka”! Ich sehe Bilder, die schnell verschwinden wie in einem Tagtraum, doch ihre Spur ist in meinem Gedächtnis hängengeblieben.
Gabrieles Fotografien haben die seltene Eigenschaft Spuren zu hinterlassen. Wie alle Spuren sind sie ephemer.
Die reflektierten Bilder in einem Spiegel sind nur flüchtig, für einen einzigen Moment erfassbar, dennoch behalten wir diese Bilder in unserem Gedächtnis. Solange wir nicht noch einmal in den selben Spiegel schauen. Der Spiegel - der schwarze Spiegel, trüb wie die geschlossenen Gewässer eines Sees – ist seit jeher ein Werkzeug der Reflexionen über das Sein
in seiner Vergänglichkeit.
Die Betrachtung der Sterne erfolgte in der Antike durch die Spiegelung des schwarzen Himmels, in dem die einzelnen Sterne funkeln. Gabrieles Fotografien sind durch derartige Spiegelungen erzeugt.
Die Objekte und die Figuren sind in einem Momentum eingefroren. Still. Vergangen.
Dafür verwendet die Künstlerin einen schwarzen Spiegel, oder einen ausgeschalteten Fernsehbildschirm. Dort sind Schauspielerinnen oder Objekte jeglicher Art gespiegelt.
Sie schauen sich in diesem dunklen Bildschirm an. Eine sehr intime Betrachtung, introspektiv.
Ein Bildschirm wird von einem Kind angedreht, der erste Funken ist erkennbaraber ein Bild ist noch nicht zu sehen. Keine Bewegung, nur das Schimmern.
Das Kind wendet sich davon ab während eine Frauenstimme laut fragt: “Wie heißt du?”
Mit dieser Szene beginnt der autobiografische Film Serkalo (Spiegel) des russischen Filmregisseur Andrei Tarkowskij. Das Kind hat einen Funken ausgelöst: Wie heißt du? In anderen Worten, er lässt
die existentielle Frage des wer bin ich? im Raum erschallen.
Durch diese besondere Technik erzeugt sie hochsymbolische Bilder, die dem Poetischen der Allegorie- und Emblemkunst der Barockzeit gleichen.
In seinem Buch Die Flamme einer Kerze fokussiert sich Gaston Bachelard auf die besondere Bedeutung des Elementes Feuer im Leben der Menschen. Er beschreibt diese Flamme als einen Magneten und als
einen Auslöser von Bildern in unserem Gedächtnis. Unsere Augen sind von diesem Licht gefesselt. Mit offenen Augen starren wir in dieses lebendige Licht. Es eröffnen sich Bilder, Erinnerungen
tauchen auf.
Die Flamme einer Kerze ist ein Licht nur für eine kurze Zeit. Wie in dem Märchen des kleinen Mädchens mit den Schwefelhölzern von Hans-Christian Andersen.
Immanuel Kant schreibt in seiner Kritik der Urteilskraft: “Unter einer ästhetischen Idee aber verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlasst, ohne dass ihr
doch irgend ein bestimmter Gedanke, d.i. Begriff adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann.”.
Paul Ricoeur paraphrasiert in seinem kleinen Buch Das Symbol gibt zu denken, diese
kantische Aussage und ersetzt dabei den Funken – also die Idee, die die Einbildungskraft auslöst - mit dem Begriff Symbol.
Die Bilder, die aus diesen schwarzen Spiegeln epiphanisch durch unterschiedliche Belichtungen in Vordergrund erscheinen, sind Serien von Symbolen und Archetypen, die eine Welt mit sich in
Erscheinung bringen.
Sie bewegen sich und doch sind sie still. Diese Fotografien sind stille Träger von unmittelbaren Momenten gefühlter Bilder.
Ob rohes Fleisch oder eine offene Schokoladenpackung - ein wiederkehrender Gedanke folgt dieser Betrachtung: das Fleisch wird irgendwann verspeist oder verderben, die Schokolade wird nicht lange
da rum liegen. Dieses Alltägliche – Ephemere – weist auf eine Stille, die einer Erkenntnis folgt: alles ist vorübergehend, entschwindet, ist unfassbar.
Die Vanitas als Überlegung über die menschliche Existenz. Nichts bleibt, nur eine Spur dieser Zeit. In einer Zeit, die letzten Endes kurz ist - wir sprechen schließlich von Fotografie -, die
etwas unmittelbares erscheinen lässt erinnert an den Spruch „carpe diem“! „Greife den Moment!“ Das „Lebe im hier und jetzt!“ unserer Generation spricht uns alle in einer sehr eleganten und
bescheidenen Form an. Es entspricht vollkommen der Art der Künstlerin hinter der Kamera zu verschwinden um uns in diese onirische Welt eintauchen zu lassen. Gabrieles Methode, die sokratische
Mäeutik – die Hebammenkunst, ist es,
Bilder ins Leben zu rufen.
Aus der Dunkelheit kommen Bilder ans Licht, das Ästhetische spielt zwar die wichtige Rolle uns zu verlocken, doch eigentlich lässt es uns in bester sokratischer Tradition eher über unsere Existenz reflektieren. Genau diese Suche, die durch eine erste Verführung entsteht möchte uns in Richtung Wahrheit und Klarheit letztlich zu einer Erkenntnis führen. Sie lässt es aber zu, nicht zu wissen, wohin jemanden eine solche Suche bringt.Von sich selbst heraus eröffnen ihre Bilder diese Bewusstseinsräume.